Solidarität mit den Genoss*innen in Eisenach. Was bedeutet das für uns?
Als Antifaschistische Vernetzung Leipzig (AVL) wollen wir unsere Gedanken zur Absage der „Ihr kriegt uns nicht klein“-Demonstrationen in Eisenach am 18.11.2023 teilen.
Ein Großteil der Äußerungen, die nach der Absage über die Demo-Orga via SocialMedia verfasst wurden, machen uns wütend: Einerseits, weil sie den Genoss*innen sowie der Situation vor Ort nicht gerecht werden. Andererseits, da die geteilten Positionen unsolidarisch und unemanzipatorisch sind. Und letztlich die frustrierende Beobachtung, dass bestimmte, sich als links-wähnende Einzelpersonen und Gruppen keine inhaltlichen Diskussionen führen wollen, sondern unter Umgehung der basisdemokratischen Organisierung unserer emanzipatorischen Bewegungen der Versuch steht eine möglichst großen Öffentlichkeit für die Anliegen ihrer einzelnen Gruppe abzugreifen. In der Konsequenz des Handelns dieser Gruppierung(en) und auch derer direkter Anschuldigungen ergibt sich ein Angriff auf unsere antifaschistischen Genoss*innen und deren Engagement.
An die Demo-Orga und alle Antifaschist*innen in Eisenach: Wir stehen zu euch!
Solidarisierung mit Eisenacher Strukturen: Antifaschistisch – allen Widerständen zum Trotz
In ihrer Begründung der Demo-Absage schreiben die Organistor*innen: „Das Motto der Demonstration, „Ihr kriegt uns nicht klein“, sollte zum Ausdruck bringen, dass wir in Eisenach trotzdem weitermachen, trotz der Angriffe, trotz der Morddrohungen, trotz der weitgehend ignoranten Stadtgesellschaft und auch trotz Polizei und Staatsanwaltschaft.“ In dieser kurzen Aufzählung ist vieles von dem enthalten, was vermutlich alle antifaschistischen Menschen aus Kleinstädten nachfühlen können, die von einer rechten Hegemonie geprägt sind. Anders als in vielen Großstädten geht mit antifaschistischer Arbeit nicht der Zugang zu Räumen, soziale Anerkennung und gelegentliche Erfolgsmomente einher. Im Gegenteil: Sich antifaschistisch zu positionieren bedeutet vor allem Konfrontation. In der Schule und Ausbildung, im Supermarkt oder Bahnhofspark und nicht selten auch im direkten Wohnumfeld. Jede Positionierung oder Aktion enthält Risiken, weil sie von unberechenbaren Reaktionen beantwortet werden können – politische Praxis findet in einem ständigen Bedrohungsszenario statt. Die Umgebung ist kein solidarischer Kiez, sondern eine Stadtgesellschaft, die sich mindestens wegduckt oder sogar aktive Unterstützung für rechte Kräfte leistet und somit auch all jene unter Druck setzt, die sich nicht mal explizit antifaschistisch, sondern schlicht menschlich gegenüber marginalisierten Gruppen verhalten. In so einer Situation ist auf niemanden Verlass, als auf sich selbst und die eigenen Strukturen.
Allen Menschen, die sich in dieser Situation befinden und sich all der Widerstände zum Trotz immer wieder für ihre antifaschistische Haltung und Praxis entscheiden, gilt unsere Solidarität! Für uns bedeutet das unter anderem, diesen Zustand stets mitzudenken, gerade wenn es um die Bewertung von Entscheidungen wie einer Demo-Absage geht.
Tragweite einer bundesweiten Demonstration
Das Organisieren einer (bundesweiten) Demonstration ist vor allem mit zwei Dingen verbunden, die meistens miteinander einhergehen: Arbeit und Verantwortung. Es müssen haufenweise Aufgaben erledigt werden, von der Terminkoordinierung, über die Mobi und Absprachen mit anderen Städten, bis zur praktischen Durchführung. Je nach Ausmaß ist der Umfang auch noch variabel und die „Ihr kriegt uns nicht Klein“-Demo war seit langem einmal wieder eine größer mobilisierte Sache. Doch Demonstrationen gehen immer auch über die rein praktische Umsetzung hinaus und es gibt viele Unbekannte. Sind wir bei Angriffen gut genug aufgestellt? Wird es Repressionen im Nachhinein geben? Setzen wir uns durch die Demonstrationen verstärkten Naziaktivitäten auch im Nachgang aus? Viel Verantwortung für eine Orga, gerade wenn man nicht auf eine große Zahl an Menschen und Erfahrungswerte zurückgreifen kann. Wir haben den allergrößten Respekt davor, dass sich die Genoss*innen dennoch dazu entschieden haben: „Ihr kriegt uns nicht klein“.
Solidarisch zu sein, bedeutet für uns auch, die Entscheidung der Orga zu respektieren und zu sehen, wie schwierig diese gewesen sein muss.
Antifaschismus ist kein Datum
Auch wir haben der Demonstration seit Wochen positiv entgegengesehen und dazu gearbeitet. Die Demo wäre – gerade mit der bundesweiten Mobilisierung – ein wichtiges Zeichen für die Genoss*innen vor Ort und in anderen Kleinstädten gewesen. Zugleich wäre sie für antifaschistische Kontexte selbst von Bedeutung gewesen, allen voran für diejenigen unter uns, die von Repression und Knast betroffen sind: Auch euch gilt unsere Solidarität! Dennoch ist es uns wichtig zu betonen, dass Demonstrationen nur eine von unzähligen wichtigen Formen antifaschistischer Praxis sind. Kontinuierliche Vernetzung, emotionale und praktische Unterstützung, das Entwickeln gemeinsamer Perspektiven – all das sind Aspekte einer lebendigen Solidarität mit den Menschen, die in Kleinstädten und ländlichen Regionen aktiv sind. Gerade in diesen Punkten müssen besonders großstädtische Strukturen – uns eingeschlossen – fortlaufende Selbstkritik üben und sich daran messen lassen, ob dem genügend nachgekommen wird. Im nächsten Jahr stehen Kommunal- und Europawahlen sowie die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an und wir stehen als antifaschistische Bewegung vor großen Aufgaben. Diese können wir nur bewältigen, wenn wir zusammenhalten. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die mutigen Genoss*innen, die in den Orten mit einer rechten Hegemonie die Fahne hochhalten und nicht aufgeben.
Was Solidarität nicht bedeutet
Wir glauben, dass all jene, die gerade ihre unsolidarischen Meinungen in die „sozialen Medien“ tippen, diese drei Perspektiven vollkommen fehlen müssen. Prominent dabei vertreten sind Gruppen wie„Young Struggle“, „Zora“ und Umfeld. Mit ihrem Verhalten haben sie gezeigt, dass es ihnen nicht um Solidarität mit Antifaschist*innen geht, wie sie in ihrem Aufruf vollmundig bekunden. Es geht ihnen augenscheinlich darum, die politische Öffentlichkeit für ihre Propaganda zu nutzen. Dass Genoss*innen unter schwierigsten Umständen viel Arbeit in die Demo-Vorbereitungen gesteckt haben, ist ihnen egal. Kein Wort der Selbstkritik im Nachgang, kein In-sich-gehen und Reflexion welche Konsequenzen das eigene Handeln hatte. Stattdessen wird weiter mit Parolen um sich geworfen, wahnhaft gegen vermeintliche Antideutsche geschossen um dann zur nächsten Demonstration überzugehen. Auch die Kritik eines Reformismus an beteiligten Einzelpersonen der Demoorga aufgrund deren Parteizugehörigkeit wurde in Stellung gebracht. Diese Selbstvergewisserung der Zugehörigkeit zur linksradikalen Großstadtszene zeugt umso mehr von der Unkenntnis der Zustände abseits der Großstadtgrenze und ist ein arrogantes Armutszeugnis zur vermeintlichen Stärkung der eigenen Position. Wir wollen gar nicht zu viele Worte an sie verschwenden, aber vielleicht so viel: Für die Absage der Demonstrationen tragen sie aufgrund ihres Verhaltens gegenüber den Genoss*innen in Eisenach die Verantwortung. Aufgrund ihrer politischen Inhalte, der instrumentellen Praxis und autoritärer Organisierung werden wir nicht mit ihnen zusammenarbeiten.
In diesem Sinne schließen wir uns der Position der Demo-Orga an, die in ihrer Begründung für die Absage schreibt: „untrennbar verbindet uns die antifaschistische Gewissheit: Wir demonstrieren nicht mit Antisemit*innen – dass gilt heute, dass galt aber auch schon vor den Massakern vom 7. Oktober und der an sie anschließenden globalen Welle von antisemitischen Anfeindungen und Gewalt.“ In der Absage begründet die Demo-Orga ausführlich, was sie bewog, die Demo abzusagen und was das mit den antisemitischen Äußerungen von „Young Struggle“ zu tun hat. Nachzulesen ist die Absage hier: https://esa1811.so36.net/
Abschließende Worte
Die erzwungene Absage der Demonstration in Eisenach zeigt uns einmal mehr, dass wir uns als antiautoritäre und emanzipatorische Linke dazu austauschen müssen, wie wir in Zukunft besser mit ähnlichen Situationen umgehen können. Dass ist eines der Dinge, die wir aus den letzten Wochen mitnehmen sollten. Da es uns in diesem Text weniger um einen praktischen Umgang, als um eine grundsätzliche Haltung geht, sind wir gespannt was sich andere Strukturen diesbezüglich überlegen. Darüber hinaus gilt natürlich auch weiterhin: Solidarität mit den Genoss*innen abseits linker Großstadt-Viertel!